Finanzkauffrau (62 Jahre)

Das Interview gehört zum Reihe „Berufswege der Region“. Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 8, 9 und 11 führten die Gespräche im Frühjahr 2021.

Wie alt bist du?62 Jahre
In welcher Gemeinde wohnst du aktuell?Lutherstadt Wittenberg
Welche Schule hast du besucht?Ich bin auf die August-Bebel-Schule in Wittenberg am Schwanenteich gegangen.
Welchen Beruf hast du erlernt bzw. welches Studium hast du absolviert?Ich habe von 1975 bis 1977 eine Ausbildung zum „Finanzkaufmann“ in der Sparkasse Wittenberg gemacht und dort bis 1986 gearbeitet.
Wie bist du zu deiner Berufswahl gekommen?Ich bin über Umwege zur Sparkasse gekommen. Da mein Vater schon jahrelang Kunde bei der Sparkasse war, ist er zum Direktor vor und hat um ein Gespräch gebeten. Später kam der Anruf, dass ich im September 1975 bei der Sparkasse anfangen konnte.
Hättest du gern etwas anderes gelernt / studiert?Eigentlich wollte ich eine Ausbildung zum „Wirtschaftskaufmann“ bzw. „Handelskaufmann“ machen.
Warum hast du den Beruf nicht erlernt?Es ging nicht, weil alle Stellen schon vergeben waren. Man hatte damals mehr „Auswärtige“ angenommen als Wittenberger, weshalb ich dann eine Ausbildung bei der Sparkasse zum Finanzkaufmann gemacht habe. Ich hätte zwar in Halle oder sonst wo als „Wirtschaftskaufmann“ anfangen können, aber das wollte ich nicht.
Welche Berufe wurden in deiner Jugend besonders häufig erlernt?Zu meiner Zeit wollten viele Jungs Elektriker, Lockführer oder allgemein etwas im Handwerk machen und die Mädchen Lehrerin oder Verkäuferin werden, da durch die Mangelwirtschaft zu DDR-Zeiten man kaum etwas bekommen hatte.
In welchen Unternehmen unserer Region hast du gearbeitet?Ich habe, wie gesagt, in der Sparkasse Wittenberg angefangen, wo ich auch bis 1986 u.a. als Zweigstellenleiterin in Piesteritz gearbeitet habe. Aber nach der Mutterzeit hätte ich nicht mehr in meinem alten Posten als Zweigstellenleiterin zurückkehren können, sondern wäre „Springer“ gewesen. Dann bin ich 1986 bei meinen Eltern im (noch heute bestehenden Geschäft) eingestiegen. Dort habe ich schon 3 bis 4 Jahre gearbeitet bis ich und mein Mann Gerd – der eigentlich als Fleischermeister ein Geschäft übernehmen wollte – 1992 das Geschäft meiner Eltern offiziell übernommen habe. Mittlerweile ist das Geschäft schon fast drei Jahrzehnte in unserem Besitz und wir denken, es noch eine Weile zu führen.
In welchem Unternehmen hat es dir am besten gefallen und warum?Mir hat es sowohl in der Sparkasse als auch heute noch im Geschäft gefallen. Was beide Berufe verbindet ist der Kontakt zum Kunden und die Beratung. Diese Arbeit macht mir bis heute noch Spaß.
Gibt es die Unternehmen heute noch?Ja sicherlich. Die Sparkasse kennt wahrscheinlich jeder und ich führe mit meinem Mann zusammen das Geschäft „Carl Traub“ in der Coswiger Straße 9 in Wittenberg immer noch.
Was war besonders schwierig während deiner Berufszeit?Im Großen und Ganzen mag und schätze ich meine Arbeit, da man von vielen Kunden Dankbarkeit erfährt. Trotzdem hat sich im Laufe der Zeit viel verändert, nicht immer zum Positiven. Zum Beispiel hat die Bürokratie stark zugenommen und auch die Bestellung ist komplizierter und schwieriger geworden. Zu DDR-Zeiten kam aller 14 Tage der LKW vors Geschäft gefahren und man konnte so viel Ware abnehmen, wie man brauchte. Nach der Wende muss man schon im Herbst für das kommende Frühjahr bestellen und im Frühjahr für den Herbst. Man weiß dann leider nicht, was in dem kommenden Jahr gefragt ist, denn man kann schon mal auf den im Voraus bezahlten Kosten „sitzen bleiben“. Das bringt eine enorme Unsicherheit mit sich.
Was hat dir am meisten Freude bei deiner Arbeit gemacht?Die Arbeit mit und an Kunden, denn wenn die Kunden zufrieden sind dann sind wir auch zufrieden. Und auch die Beratung finde ich besonders wichtig, da man nicht überall eine fachgerechte und kompetente Beratung als Kunde bekommt.
Welchen Tipp kannst du mir bei der Berufswahl geben?Da ich ja bereits weiß, was du mal werden möchtest, kann ich dir nur eins mit auf den Weg geben: bleib am Ball und weiterhin so zielstrebig! Ihr jungen Leute habt heutzutage alle Möglichkeiten der
Welt – nutzt sie!
Was beinhaltet euer Verkaufssortiment?Also an erster Stelle steht Saatgut. Das hatte mein Opa, der das Geschäft 1921 in Wittenberg gegründet hatte auch schon von Anfang an. An zweiter Stelle: Seilerwaren, die mein Opa auch von Anfang an hatte. Aber auch Dünger und Pflanzenschutzmittel, wo allerdings der Großteil erst ab der Wende dazugekommen ist. Die vierte Branche sind Tabakwaren und – Zubehör.
Ihr habt in diesem Jahr ein Jubiläum zu feiern: 100 Jahre. Was meint ihr ist das Erfolgsrezept für ein so langes Bestehen eures Geschäfts?Ich denke, dass uns die Bodenständigkeit, nicht abgehoben zu sein, auszeichnet. Man hatte uns zwar nach der Wende eine Filiale angeboten, aber wir wollten hier im „alten Laden“ bleiben. Auf jeden Fall war ein weiterer Punkt der Familienzusammenhalt, denn ohne meinen Mann könnte ich das hier alleine nicht schaffen. Ich wäre zwar gerne an der Sparkasse geblieben und mein Mann hätte sich selbstständig mit einer Fleischerei gemacht, aber durch die Krankheit meines Vaters wollte ich den Familienladen und die Tradition fortführen. Viele Kunden erfreuen sich über die Originalität und das breit gefächerte Sortiment des Ladens. Oft hört man: „Schön ist es hier!“ oder „Hier wird man wenigstens beraten!“ – das macht einen schon stolz und bestätigt nur die Arbeit.

Das Ladengeschäft

Geschäftsinhaber Familie Hoffmann vor ihrem Geschäft „Carl Traub“ in der Coswiger Str. 9 in der Wittenberger Altstadt

100 Jahre – Fachgeschäft „Carl Traub“